© Neue Sirene™



Edith Huber          



Gut isoliert


[...]

Warum bin ich nur in deine Stadt gekommen? Hättest du nicht auch zu mir ziehen können?
Aber nein, beruflich komme man besser voran in der großen Stadt, bessere Möglichkeiten für
dich, ich sei ja flexibel. Die Umgebung zu ändern, mache mir doch nichts aus, aber du hättest
ja deinen Verein, ich sei schon so oft umgezogen, da sei das nicht schlimm, ich würde schnell
neue Leute kennenlernen. Ich bin gekommen und du bist geblieben und wir bleiben
zusammen und glücklich.

Zwei Monate ist das erst her. Meine Ankunft mit Pauken und Trompeten und einem großen
Möbelwagen. Wir haben alles in die Wohnung gebracht, die wir uns gemeinsam in deiner
Stadt gesucht haben. Deine Sachen waren schon da, über die Räume verstreut, und wir haben
uns gefreut wie zwei Kinder. Dann habe ich aufgeräumt und mich geärgert, weil ich es allein
tun mußte. Aber dann, als ich fertig war, war auch die Fernsehsendung aus, die du dir
angesehen hast, auf deinem Sessel, deine Füße auf deinem Hocker, den beiden Dingen, die
außer dem Fernseher noch von dir aufgestellt wurden.

Es war dann noch ein ziemlich schöner Abend. Wir haben uns unterhalten und miteinander
die Wohnung auf der Matratze, die damals noch unser Schlafzimmer war, eingeweiht.

Heute nacht werde ich allein auf unserem Bett schlafen, das mittlerweile geliefert wurde und
darauf horchen, ob du nicht vielleicht doch wieder kommst.

Nacht ist es geworden, während ich lausche und nachdenke. Ich werde ins Bett gehen. Allein.
Zusperren muß ich auch, sonst bekomme ich Angst. Hier in deiner Stadt passiert viel, die
Zeitung ist voll mit Schreckensmeldungen. Als Frau allein muß man hier achtsam sein. Ich
werde absperren, den Schlüssel stecken lassen und schlafen.

Im Bett ist es so leise ohne deinen Atem neben mir. Du atmest sehr schwer im Schlaf. Das
Geräusch hilft mir beim Einschlafen. Half mir.
Heute ist es so still, als ob ich die einzige Bewohnerin des Mietshauses wäre. Gut isoliert, hast
du gesagt, aber erst heute fällt es mir auf. Als du es sagtest, war es nicht wichtig. Egal. Ich
konnte doch ohnehin immer einschlafen. Nur heute nicht, heute ist das Haus zu gut isoliert,
bin ich zu gut isoliert.

Kein Weinen.
Warum habe ich noch nicht geweint, frage ich mich. Alles ist nur leer und tot. Keine Tränen,
aber Taschentücher auf dem Nachttisch. Neben deinem Foto. Du lächelst mich an. Ich weiß
noch, daß du ziemlich angetrunken warst, als ich das Bild gemacht habe. Rote Augen, rote
Backen und deine verstrubbelten Haare, die ich nicht mag. Ich wünschte, du hättest eine
vernünftige Frisur. Wenigstens zu besonderen Anlässen. Neulich, als wir im Theater waren,
habe ich mich so geschämt mit dir, weil du dich wieder einmal geweigert hast, dich anständig
zu frisieren. Peinlich war das, und das habe ich dir auch gesagt, aber dir war das egal, du bist
böse geworden, weil du gemerkt hast, daß ich mich geschämt habe und hast gesagt, ich müßte
ja nicht mit dir ins Theater gehen, wenn ich nicht wollte. Ganz laut hast du das gesagt, und
alle haben uns angesehen. Manche haben gegrinst, ganz böse, schadenfroh gegrinst. Da hätte
ich fast geweint. Wütend war ich da. Sehr wütend, weil wir alles so unterschiedlich sehen,
und du so einen anderen Geschmack hast als ich, und überhaupt war der Abend für mich noch
vor Beginn des Stücks bereits verdorben.

Gestern war alles noch ganz normal. Ich hätte doch etwas merken müssen, wenn irgend etwas
nicht wie sonst immer gewesen wäre, oder? Wir leben zusammen, mir hätte doch irgend
etwas auffallen müssen. Aber alles war so wie immer. Wir haben wie immer gemeinsam
gegessen, wie immer habe ich gespült, und wie immer haben wir dann ferngesehen und sind
nach den Spätnachrichten ins Bett gegangen. Gut, du hast mir keinen Kuß gegeben, aber das
war ja in letzter Zeit öfter so, also ist es mir nicht aufgefallen. Das ist eben der Alltag, habe
ich mir gedacht, als du mir im Bett den Rücken zugedreht hast. Ich wartete lustlos auf den
Schlaf, dich hörte ich schwer atmen.

Kein Weinen.
Still liege ich da, und während ich noch auf Tränen warte, übermannt mich der Schlaf.

Ich schrecke auf. Jemand ist an der Tür, typische Schlüsselgeräusche, dann ein Klingeln.
Aufstehen, zur Tür gehen. Ich schaue durch den Spion. Du. Ganz viele Haare und in mir kein
Gefühl. Du klingelst noch einmal, jetzt schon energischer, zweimal, dreimal. Noch immer
schaue ich dich an. Du hebst den Blick vom Schloß, und ich sehe direkt in dein Gesicht.
Ich fühle nichts.
Ich wende mich ab und gehe zurück ins Bett.

Es klingelt und klingelt.
Kein Gefühl, kein Weinen und ein traumloser Schlaf.


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